Christsein und LSBT

Liebe ist unteilbar: Einige Gedanken zu homosexueller Partnerschaft

Hat gleichgeschlechtliche Liebe eine Chance oder ist sie zum Scheitern verurteilt?

Früher gab es in der Wochenzeitung DIE ZEIT eine Kolumne namens Pooh's Corner, eingeleitet mit einer Formulierung wie "unmaßgebliche Meinung eines unbedeutenden Bären zu...". Eine solche, an die Kinderbuchfigur Winnie the Pooh angelehnte "Bescheidenheitsklausel" sollte ich vielleicht auch meinen Ausführungen vorausschicken. Ich bin kein Fachmann, bzw. keine Fachfrau in Sachen Partnerschaft: meine persönlichen Erfahrungen hielten sich bisher in sehr überschaubaren quantitativen Grenzen, bzw. sind in den letzten Jahren wahrhaft "eindimensional". Aber gerade, weil sie so eindimensional unverschämt glücklich sind, möchte ich doch einmal ein paar Dinge loswerden zu dem, was um dieses Thema alles durch die christliche Presse geistert.

Liebe lässt sich nicht zählen, wenn man ohne Liebe zählt – Ist homosexuelle Liebe nicht existent?

Als vor Jahren meine Mutter einer christlichen Freundin aus ihrer Gemeinde davon erzählte, dass ich seit kurzem in einer homosexuellen Beziehung lebe, kam als Kommentar zurück: "Du wirst sehen, das hält nicht lange. Das ist bei denen so." Eigentlich schätze und respektiere ich diese Frau sehr. Von daher kränkte mich damals ihre Aussage ziemlich. Inzwischen kann ich ganz gut über solchen Kommentaren stehen, aber es erschreckt mich nach wie vor, wie unreflektiert viele Christen gängige Vorurteile zu etwas übernehmen, zu dem sie meist keinerlei Erfahrungswissen besitzen.

Dauerhafte und gelungene Partnerschaft funktioniert nie von selbst. Das wissen Christen nur zu gut. Wie fragil das Gebilde "Ehe" bzw. heterosexuelle Partnerschaft ist, spiegelt sich allein schon in der Flut von Eheratgebern wieder, die jeder christliche Verlag meist noch in mehreren Varianten anbietet. Zahlreiche Seminare wie "Verliebt, verlobt, verheiratet" oder "Gute Ehen besser machen" etc. sprechen dafür, dass Partnerschaft immer wieder "auf Kurs" gehalten oder gebracht werden will. Christliche Veröffentlichungen erwecken manchmal geradezu den Eindruck, eine gut funktionierende Ehe sei ein stets von Raubtieren verfolgtes oder von inneren Krankheiten bedrohtes Wesen.

Nur dann, wenn es um die Auseinandersetzung mit Homosexualität geht, verklärt sich heterosexuelle Paarbildung zum strahlenden und ausschließlichen Funktionsmodell. Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die Ehetherapeuten soeben durchaus noch mit einem gewissen Seufzen quittiert haben, werden jetzt zur absolut notwendigen Voraussetzung sinnvoller Partnerbeziehung erklärt. Homosexuellen hingegen wird die natürliche Fähigkeit zur Beziehung, die sie wie jeder andere Mann, jede andere Frau – mit allen Begrenzungen – naturgemäß mitbringen, einfach abgesprochen. Denn im Grunde seien sie ja eine Art von nicht zur Reife gelangten "Un-Männern" und "Un-Frauen"...

Auf den Internetseiten konservativ-christlicher Kreise – sei es aus der katholischen oder evangelikalen Richtung – werden denn auch immer wieder Studienergebnisse oder Selbstaussagen von Homosexuellen in diesem Sinne publiziert. Im wissenschaftlichen oder objektiven Gewande sucht man der Auffassung Nachdruck zu verleihen, (vor allem männliche) Homosexuelle seien grundsätzlich unfähig zu verbindlicher und verantwortlicher Partnerschaft. Die erhobenen Zahlen liefern scheinbar unwiderlegbar den Beweis, z.B. neuestens: "Studie: Beziehung zwischen Homos dauert durchschnittlich nur 1,5 Jahre" (Schlagzeile kath.net; ähnlich OJC [1] und zahlreiche konservative US-amerikanische Websites).

Aber wie allgemeingültig sind eigentlich solche Zahlenangaben? Verschwiegen oder geschickt übergangen wird dabei in aller Regel, dass es sich einesteils um Aussagen von Protagonisten des "schwulen Lifestyles", andererseits um Veröffentlichungen aus dem Bereich der AIDS-Forschung handelt.

Natürlich gibt es genügend Gruppierungen, die explizit schwules Leben als schnelles, buntes sexuelles Kaleidoskop stilisieren und propagieren. Wer Entsprechendes zum heterosexuellen Lifestyle erfahren möchte, dem sei empfohlen, in einer konventionellen Internet-Suchmaschine einmal Begriffe wie "Swingerclub" oder "Partnertausch" einzugeben – und dann sehr viel Zeit damit zu verbringen, sich die Hunderte von Links, die ihm in Sekundenschnelle geliefert werden, zu Gemüte zu führen. Er kann dort lernen, was "Gang Bang" ist oder sich zu einer völligen Neudefinition des Begriffes Moral belehren lassen, etc. Aber was erfahre ich da grundsätzlich zu Heterosexualität?

Man kann heterosexuell äußerst promiskuitiv leben, man muss aber nicht.

Man kann homosexuell äußerst promiskuitiv leben, man muss aber nicht.

Und die Veröffentlichungen aus dem medizinischen Bereich, sind die nicht wissenschaftlich exakt? Doch, das sind sie (hoffentlich) – aber hier werden unter gesundheitspolitischen Gründen ausgewählte Risikogruppen untersucht (so z.B. ZÜMS – Zürich Men's Study 1998 oder die oben zitierte Studie von Xiridou aus dem Amsterdam Municipal Health Service, 2003). Unter dem Gesichtspunkt epidemiologischer Erfassung von Geschlechtskrankheiten, und vor allem von AIDS, richtet sich diese Forschung gezielt auf die mit dem höchsten Risiko behafteten Gruppen. Hierzu zählen unter anderem natürlich gerade promisk lebende Homosexuelle. Diese rekrutiert man z.B. an bekannten Orten, an denen Schwule sich treffen, um neue Bekanntschaften schließen. Oder man untersucht, wie in Amsterdam, überhaupt nur bereits mit HIV Infizierte.

Was sich übrigens hierbei wirklich fand, war im Wesentlichen dies: Bereits vorhandenes Datenmaterial wurde anhand einer mathematischen Formel darauf untersucht, ob die Auswirkung gestiegener Risikoverhaltensweisen den Effekt moderner Kombinationstherapien in der Behandlung von AIDS aufwiegt. Als Nebenergebnis kam heraus, dass der Hauptteil der Neuinfizierten in etwas länger andauernden Beziehungen als früher üblich lebt (deshalb als "steady partnerships" beschrieben), allerdings mit diversen sexuellen "Nebenkontakten". Offensichtlich sinkt in dieser Konstellation das Risikobewusstsein, z.B. zur Kondombenutzung, im Vergleich zu denen, die ausschließlich promiskuitive Sexualgewohnheiten pflegen.

Soweit so gut (oder, soweit so schlecht). Nur muss man sich klarmachen: in echten, stabilen Partnerschaften lebende Homosexuelle werden hierbei erst gar nicht erfasst – da sie für die Fragestellung ja auch nicht interessieren – und über ihre Häufigkeit oder Seltenheit lässt sich aus diesen Ergebnissen rein gar nichts schließen.

Angenommen, man führte eine Befragung der Kunden sämtlicher Bordelle Zürichs und Amsterdams durch, um die eheliche Treue verheirateter heterosexueller Männer zu erfassen – würde das Ergebnis von 0% sehr überraschen? Was würde herauskommen, wenn man die Häufigkeit von Seitensprüngen Heterosexueller ausgerechnet anhand einer Kartei erforschen würde, in der sämtliche Fälle von Tripper (eine Geschlechtskrankheit) Zürichs und Amsterdams erfasst wurden? Jeder würde die Absurdität allgemeiner Schlussfolgerungen aus solchen Datensammlungen sofort erkennen. Warum soll ich mir dann als Homosexuelle(r) anhand solcher Studien einreden lassen, so und nicht anders "seien wir nun mal"?! Und das ausgerechnet von solchen, die damit im Namen der Wahrheit auftreten?

Typisch Mann – typisch Frau – typisch Mensch. Ist homosexuelle Liebe zum Scheitern verurteilt?

Sind männliche Homosexuelle tatsächlich durchweg bindungsunfähige Sexmonster? Sind weibliche Homosexuelle tatsächlich durchweg emotional abhängige Klammeraffen? Ist männliche Homosexualität grundsätzlich neurotische "Sucht nach Sex" und weibliche Homosexualität neurotische "Sucht nach Liebe", wie es unermüdlich von mancher christlichen Seite tönt? Wohl dem, der dazu einfach nur aus sicherer Distanz in schallendes Gelächter ausbrechen kann. Ich fürchte, viele Betroffene leiden aber unter diesen längst verinnerlichten Urteilen über ihr menschliches Sosein. Selbst da, wo sie diese Einschätzung vehement ablehnen, vermögen sich viele gar nicht so einfach davon zu lösen, abgesehen von denen, die diese Theorien tatsächlich für sich übernommen haben. Warum verfolgt manche diese Beurteilung bis hinein in ihre Selbsteinschätzung? Warum geht es vielen so, dass sie sich manchmal angstvoll fragen: "Bin ich womöglich doch, wie man behauptet, daß ich zu sein habe?"

Vielleicht hat dies neben vielen anderen Gründen auch den, dass diese Aussagen, so abwegig sie auch sind, auf etwas anspielen, was allgemeiner Erfahrungsschatz und deshalb selbstverständlich im Leben jedes Homosexuellen auch irgendwo zu finden ist.

Zum einen gibt es meiner Überzeugung nach auf Erden keine Beziehung zwischen zwei erwachsenen Menschen, die völlig frei von neurotischen und unreifen Elementen wäre. Wir Menschen schleppen alle aus unserer Kindheit nicht nur gutes Potential, sondern auch Altlasten mit uns herum, die unser Verhalten prägen. Es gehört zu den Herausforderungen unseres Lebens, aus diesen Altlasten das Bestmögliche zu machen und hier den wirken zu lassen, der "Christus in uns Gestalt gewinnen" lassen will (Gal 4,19).

Inzwischen kann ich es mit gewissem Amusement nehmen, wenn ich vereinzelt Züge der angeblich typisch homosexuell-neurotischen Verhaltensmuster an mir selbst entdecke – eben weil ich mit noch größerem Amusement diese Verhaltensmuster zuhauf bei meinen heterosexuellen Mitmenschen feststelle...

Zum anderen geht es hier womöglich weniger um typisch homosexuelle Eigenschaften, als um gewisse Eigenarten von Mann und Frau. Es liegt mir nun wirklich fern, Klischees zu dreschen. Aber auch im Zeitalter der sexuellen Revolution sind es natürlich immer noch mehr Männer als Frauen, die schnelle Sexualität suchen und praktizieren. Der gigantische Frauen- und Mädchenhandel in dieser Welt, der grenznahe Straßenstrich in unseren osteuropäischen Nachbarländern, der Sextourimus in die Dritte Welt – er dient schließlich nicht dazu, Heerscharen von lesbischen Frauen zu befriedigen, sondern hat (heterosexuelle) Männer als Zielgruppe.

Und auch im Zeitalter von erfolgreichen Frauen in Führungspositionen und früher klassischen Männerberufen sind Frauen auf emotionaler Ebene meist tiefer, aber auch verwundbarer ausgestattet als Männer. Immer noch ist es gängige Erfahrung von Eheseelsorge und –therapie, dass es eher Frauen sind, die - bis hin zur erschreckendsten Selbstentwertung - in emotionale Abhängigkeit zu Männern geraten als umgekehrt.

Von daher wird eine Beziehung zwischen zwei Männern tendenziell andere Stärken und natürlich auch Schwächen aufweisen als eine Beziehung zwischen zwei Frauen, oder eben eine zwischen Mann und Frau, zumal homosexuelle Beziehungen keineswegs zwingend eine klassische Rollenverteilung in einen "männlicheren" und einen "weiblicheren" Partner aufweisen müssen. Selbst wenn es tatsächlich so wäre, dass – nicht in jedem Fall, aber statistisch gesehen - Beziehungen, in der zwei Männer aufeinandertreffen, "versuchbarer" für Seitensprünge sein können, und Frauenbeziehungen anfälliger dafür, sich überproportional paar- und partnerkonzentriert zu entwickeln – wäre das ein Grund, solche Beziehungen grundsätzlich abzulehnen?

Jede Ehe z.B. zwischen Angehörigen zweier Nationalitäten oder gar Rassen wird auch ganz besonderen Beanspruchungen und Risiken ausgesetzt sein im Vergleich zu konventionellen Partnerschaften – niemand käme auf den Gedanken, daraus ein Verbot solcher Beziehungen abzuleiten. Welche Chancen man einer Paarkonstellation – ob homo- oder heterosexuell – statistisch beimisst, sagt im Übrigen nie etwas über das individuelle Gelingen einer Beziehung aus. Und zwei Menschen, die sich lieben und im Vertrauen auf Gott ihr Leben miteinander wagen wollen, werden solche statistischen Erwägungen am Ende auch herzlich gleichgültig sein – und das ist gut so.

Gerade unter Christen wird schließlich – zu Recht – immer wieder betont, dass eine "schwache Stelle" an einem Punkt noch lange nicht bedeutet, dass tatsächliches Leben davon wesentlich beeinflusst werden muss. Ja, jede "Schwäche" besitzt auch eine andere Seite, in der ihre besonderen Gaben liegen. Von daher könnte ich umgekehrt genauso argumentieren, Männerbeziehungen hätten die bessere Chance, von der unter Christen häufig anzutreffenden Leibfeindlichkeit verschont zu bleiben, Frauenbeziehungen, sich im emotionalen Verständnis besonders tief und befriedigend zu entwickeln. Damit würde ich freilich nur wieder ein Klischee bedienen.

Meine Erfahrung in meinem Bekanntenkreis sieht eigentlich so aus: das Alltagsleben oder auch die Probleme homosexueller Paare weisen zwar in der Auseinandersetzung mit einer nicht immer bejahenden Umwelt deutliche Unterschiede zu Heterosexuellen auf. Innerhalb der Beziehung dagegen sieht es weitstreckig geradezu "banal" aus, so sehr ähnelt die Interaktion untereinander der bei heterosexuellen Partnern. Warum sollte es auch nicht so sein? Nach wie vor treffen hier weniger besondere Männer und Frauen, sondern einfach Menschen aufeinander.

Für unsinnig halte ich nun den Schluss, nur in der gegengeschlechtlichen Beziehung sei wahre Ergänzung gegeben, nur in der Polarität oder (um einen genauso beliebten Zungenbrecher zu benutzen) in der Komplementarität der Geschlechter könne die schöpfungsgemäße Bestimmung von Partnerschaft liegen. Dies beschränkt die Frage gelungener Beziehung ja nun völlig auf geschlechtsspezifische Gesichtspunkte, als seien sie die einzig ausschlaggebenden. Hierbei wird übersehen, dass in jeder Partnerschaft Verschiedenheiten, aber auch Ähnlichkeiten bestehen, die keineswegs untergeordnete, sondern für ihr Fortbestehen oder Zerbrechen ganz entscheidende Bedeutung haben können, ohne dass diese irgendwie geschlechtsspezifischer Natur wären. Dabei wäre es weder sinnvoll noch notwendig, solche Ähnlichkeiten bereits von vornherein zum Ausschlusskriterium für eine Eheschließung zu machen.

Die biblischen Eheleute Isaak und Rebekka stellen, betrachtet man das Zustandekommen ihrer Ehe, für Christen gemeinhin den klassischen Prototyp eines göttlich füreinander bestimmten Paares dar. Trotzdem besaßen sie "Ähnlichkeiten", an denen ihre ganze Familie zu zerbrechen drohte. Beide neigten dazu, ihre Lebens- und Ehedefizite nicht miteinander zu bearbeiten, sondern auf ihre Kinder zu projizieren, und so ihre eigenen Konflikte auf dem Rücken ihrer Kinder auszutragen, sie darüber geradezu in einen stellvertretenden Wettbewerb zu treiben.

Isaak identifizierte sich mit dem "männlich wilden" Esau, Rebekka mit dem "häuslichen", intelligenten Jakob - wie viel Leid ging daraus hervor, das generationenübergreifend seinen Unsegen weiterreichte... Beide behalfen sich mit denselben Mechanismen, keiner der beiden war hier "anders" genug als sein Partner, ihnen fehlte die nötige "Komplementarität". Sie waren in ihrem Verhalten zu gleich, um die Schwäche des anderen auszugleichen. Dennoch ändert dies nichts daran, dass sie ein "gewolltes Paar" waren. Und niemand wird im Übrigen davon ausgehen, dass sie sich absolut zwangsläufig so verhalten mussten, und keine Möglichkeit gehabt hätten, es besser zu machen.

Jedes Paar, das eine Lebensbeziehung anstrebt, wird es lernen müssen und wollen, mit seinen individuellen Verschiedenheiten und Ähnlichkeiten – auf welchem Bereich auch immer – konstruktiv umzugehen: Probleme, die daraus entstehen, gemeinsam zu bewältigen und Besonderheiten ihrer Konstellation fruchtbar umzusetzen. Dies auf Geschlechtsspezifika (womöglich noch die anatomische Passform) zu reduzieren, ist unsinnig. Die Besonderheiten von Männern und Frauen völlig wegreden zu wollen, halte ich für falsch und unrealistisch. Aber bereits für heterosexuelle Beziehungen scheint mir die häufig sehr klischeehafte Fixierung auf Rollenmuster, die in christlichen Gemeinden vermittelt wird, eher erstickend für die beteiligten Individuen, die dazu manchmal partout nicht passen wollen (und trotzdem funktionieren auch solche Beziehungen!).

Hört nicht auf Bileam: Wer verflucht homosexuelle Liebe?

Aussagen wie die vom Homosexuellen als Süchtigen nach Sexualität oder Liebe stehen wie ein Unstern über homosexuellen Christen. Jesus gab seinen Jüngern die Vollmacht, "auf Erden zu lösen und zu binden" (Mt 18,18), ein Auftrag, den er auf die Sündenvergebung münzte. In erweitertem Verständnis bekam und bekommt diese Aussage leider oft eine traurig-missbräuchliche Dimension, die sich zu verschiedenen Themen durch die ganze Kirchengeschichte zieht. Wie viel innere Bindung und Verhaltensfixierung kann man durch negative Urteile erst zementieren!

Die Psychologie kennt die Macht der "self-fulfilling prophecy" – gedanklich erwartetes Verhalten wird tatsächliches Verhalten. Dieser aus der religiösen Sprache entlehnte Begriff kehrt dabei unheilvoll in den religiösen Bereich zurück: unter Christen gibt es genügend "Propheten", die die Botschaft vom beziehungsunfähigen, in seiner sexuellen Identität unreif geblieben Homosexuellen wieder und wieder verkünden. Leitende christliche Persönlichkeiten sind für ihre Schäfchen in besonderem Maße respektierte, da göttlich legitimiert empfundene Autorität, und haben von daher erhebliche Macht – und Verantwortung! Dies macht es für viele homosexuelle Christen immer noch so schwer, sich innerlich von diesem Urteil über ihr Leben freizusprechen.

Geistlich gesehen erfüllt dies nahezu den Tatbestand einer Verwünschung, die man über einen Menschen ausspricht. Das Alte Testament erzählt davon, wie der Moabiterfürst Balak einen berühmten Seher und Magier namens Bileam dafür anheuerte, das Volk Israel, vor dem den Moabitern angst und bange wurde, zu verfluchen. Er hoffte, Bileams Fluch könnte die Israeliten in Schwäche und Unterlegenheit festbinden. Ob wir an die Wirksamkeit magischer Fluchsprüche glauben oder nicht – die Wirksamkeit psychischer Machtausübung ist uns vertraut.

Ich sehe ausgerechnet in der Gemeinde Christi viele Bileams am Werk, die den Fluchspruch der Unterlegenheit und Minderwertigkeit durchaus wirksam ausrufen über Menschen, vor denen sie glauben, sich "grauen" zu müssen wie einst die Moabiter vor dem fremden Volk, das da anrückte (Num 22,3). (Übrigens – ganz ähnlich wie die heutige Argumentation, homosexuelle Lebensgemeinschaften würden die Gesellschaft übergebührlich zu ungunsten der Familien belasten, lautete auch die damalige Sorge schon: "Dieser Haufen wird uns alles wegfressen!").

Wir wissen, dass der Bileam der Bibel angesichts der Israeliten keinen Fluch aussprechen konnte. Mose kommentierte diese Geschichte rückblickend so: "Gott hat sich geweigert, Bileam zu erhören, und der Herr, dein Gott, hat für dich den Fluch in Segen verwandelt" (Dtn 23,6). Es ist mein Wunsch und meine Hoffnung, und zunehmend auch meine Erfahrung, dass dies Wirklichkeit wird – auch wenn die Verwünscher dieser Tage sich natürlich selbst lieber in der Rolle Israels sehen wollen und in uns die bösen Moabiter... Aber ich glaube, dass Gott, der das Herz ansieht, sich weigert, auf diese Sprüche der Verwünscher zu hören. Und mögen auch all die zu Unrecht Verwünschten sich weigern, darauf zu hören!

Gebt der Liebe Raum zum Gedeihen: Hat gleichgeschlechtliche Liebe gleiche Chancen?

Wie viel Engagement investiert die Gemeinde Christi in die Unterstützung von Eheleuten! Wie bewusst ist sie sich hier, dass Ermutigung und Unterstützung von außen von enormer Wichtigkeit für den Bestand einer Beziehung sein können. Es freut mich für Heterosexuelle, dass sie diesen Rückhalt haben. Denn welchen Effekt hätte es dagegen wohl, wenn der Pfarrer einem zukünftigen Brautpaar im Traugespräch vermitteln würde: "Also, eine Ehe haltet ihr doch sowieso nicht durch! Heterosexuelle können so was gar nicht"? Wenn von der Kanzel die ständige Botschaft käme, die Ehe sterbe zwangsläufig aus, da die heutige Generation ohnehin nicht mehr dazu fähig sei? Wenn Verwandte und Freunde den Ehepartner konsequent ignorieren oder nicht ernst nehmen würden? Wenn bei der ersten Krise ausschließlich triumphierende Ausrufe kämen: "Haben wir es nicht von Anfang an gesagt, da konnte ja nichts draus werden, geht doch gleich auseinander!"? Oder wenn die ganze Ehe ohnehin in absoluter Heimlichkeit gehalten werden müsste?

Dies ist die Situation, in der viele Homosexuelle ihre Beziehung leben, und wohl denen, die dabei die Gabe zum "Jetzt-erst-recht" haben! Bis vor relativ kurzer Zeit hat die Gesellschaft eine dauerhafte, offen homosexuelle Lebensbeziehung nicht nur nicht ermutigt und unterstützt, sondern gerade am allerwenigsten toleriert, und unter konservativen Christen ist dies bis heute besonders ausgeprägt. Diese Atmosphäre fördert aber natürlich genau das, was sie anschließend verurteilt und zum typischen Kennzeichen erhebt: flüchtige, anonyme Sexualkontakte, Heimlichkeit und Doppelleben. Wo liegt hier nun die eigentliche Perversion?

In einer Welt, in der alles immer unverbindlicher wird, könnte es eigentlich zu denken geben, dass ausgerechnet von Homosexuellen der politische Ruf nach einer Regelung verbindlicher Beziehungen laut wurde. Wo bisher in der Geschichte hätte man Homosexuellen je einen Raum eröffnet, in dem sie allgemeine Unterstützung für eine dauerhafte Beziehung gefunden hätten? Und jetzt, wo sie sich selbst einen solchen Raum erkämpft haben und einen rechtlichen Rahmen dafür schaffen, wird ausgerechnet dies wieder als Kennzeichen einer "Spaßgesellschaft" abgetan oder als Unternehmen ohne Zukunft bezeichnet?

In der zur Zeit allerorten aufflammenden Diskussion um die Segnung wird gerne ins Feld geführt, dass die Zahl der geschlossenen Lebenspartnerschaften im Vergleich zum Prozentsatz der Eheschließungen relativ gering geblieben sei und sich darin doch die mangelnde Bindungsbereitschaft Homosexueller widerspiegele. Dabei blendet man konsequent aus, dass die Ausgangssituation für Homosexuelle völlig anders aussieht. Natürlich gibt es viele, die nun auch nicht mehr einsehen, sich einem bürgerlichen Beziehungsmodell zu unterwerfen, nachdem diese Bürgerlichkeit sie bisher als abartig ausgegrenzt hat. Ähnlich wie viele Heterosexuelle wählen sie eine formlose Lebensgemeinschaft (die freilich auch ohne Bescheinigung stabil geführt werden kann).

Aber es gibt meines Erachtens auch andere Gründe. Ich glaube, die Lebenspartnerschaft wird von sehr viel mehr Homosexuellen befürwortet, als sie dann tatsächlich eingegangen wird. Für viele ist dieser Schritt an die Öffentlichkeit einfach immer noch zu schwer (und für Angestellte der katholischen Kirche ja auch mit dem Verlust der Beschäftigung verbunden). Hochzeit hat auch in unserer Kultur immer noch einen hohen emotionalen Stellenwert. Zu allen Zeiten und überall wird sie als Hoch Zeit, als Freudenfest, gefeiert, dem Gesellschaft, behördliche Einrichtungen und vor allem Familie und Freundeskreis (bis auf einzelne, individuelle Ausnahmen) bejahend gegenüberstehen.

Die Institution Lebenspartnerschaft ist zwar ein wichtiger erster Schritt, aber nach wie vor gilt für sie diese allgemeine Akzeptanz nicht. Für die Betroffenen selbst hat das Eingehen einer Lebenspartnerschaft selbstverständlich denselben Stellenwert wie eine Eheschließung. Einen solchen Tag möchte man feiern mit solchen, die sich mitfreuen, ihn festlich begehen, und nicht mit Auseinandersetzungen oder allein verbringen.

Vielerorts wurden zum Glück hierfür die Standesämter geöffnet. In Thüringen aber z.B. sah die Regelung lange Zeit so aus, dass für das ganze Bundesland nur eine einzige Behörde in Weimar zuständig war – sinnigerweise lokalisiert im ehemaligen Nazi-Gauforum. Eine Wahl, die Bände spricht. Viele Homosexuelle werden von den eigenen Eltern und/oder denen des Partners abgelehnt und ignoriert, womöglich steht auch der christliche oder konservative Teil des Freundeskreises der Lebenspartnerschaft abweisend gegenüber.

Die Motivation, dann statt einer Hoch Zeit einen Tag der Niederstimmung zu begehen, dürfte für manche eben nicht mehr sehr groß sein. Romeo und Julia, das klassische heterosexuelle Paar der Weltliteratur, das mit der radikalen Ablehnung seines gesamten Umfeldes konfrontiert war, lebte noch zu Zeiten, wo eine Heirat absolute Voraussetzung für ein gemeinsames Leben war. So blieb ihnen nur eine hastig anberaumte, heimlich-einsame Zeremonie. Die meisten Heterosexuellen heute würden sich diesen Schritt in einer entsprechenden Situation vermutlich lieber ersparen und eben "einfach so" zusammenziehen. Wer will es dann Homosexuellen verdenken, für die solche Bedingungen eher den Regelfall darstellen?

Trotz allem: homosexuelle Partnerschaft existiert. Womöglich haben sich etliche homosexuelle Lebensgemeinschaften durch sehr viel mehr Bewährungsproben gemeinsam durchgekämpft und sich die Partner in tieferen Krisen gegenseitig die Stange gehalten als viele Heterosexuelle. Allen "Verwünschungen" zum Trotz erleben Christen auch als homosexuelle Paare ihre Gemeinschaft als Geschenk und Segen Gottes. Allen "Verwünschungen" zum Trotz können homosexuelle Christen diesen Segen Gottes tagtäglich in ihrem Zusammenleben erleben.

Niemand, der solche Partnerschaft sucht, sollte sich entmutigen lassen von statistischen Pseudoargumenten, die ihm beweisen wollen, er sei a priori beziehungsuntauglich. Homosexuelle Menschen haben nicht weniger Recht, Liebe zu geben, Treue zu üben und Verantwortung wahrzunehmen als heterosexuelle – und natürlich nicht weniger Recht auf das Zugeständnis, an diesem Vorhaben auch zu scheitern zu können!

Was Gott nicht teilt, darf der Mensch zusammenfügen: Gleichgeschlechtliche Liebe ist gleichwertig

In welchem Bereich auch immer, wer die gegen homosexuelle Partnerschaften ins Treffen geführten Argumente kritisch hinterfragt, wird häufig feststellen: Sie beruhen auf einem Blickwinkel mit bewusst selektiver Wahrnehmung. Sie schaffen nicht selten selbst die Bedingungen für das, was sie anschließend kritisieren. Sie wollen häufig auch gar nicht die Realität anerkennen, weil sie sich an eine höhere Wahrheit gebunden fühlen, bzw. eben an ihr spezielles Verständnis dieser Wahrheit.

Hier, nicht in psychologischen oder sozialen Fragen liegt unter Christen das primäre Problem: Der Versuch einer sachlichen Begründung für die Ablehnung homosexueller Partnerschaften rührt letztlich von einem speziellen Verständnis der Bibel her, dem man sich verpflichtet glaubt. Aufgrund weniger, in ihrem Bezug ziemlich strittiger Schriftstellen versucht man einen Graben zu ziehen, der dem Wesen Gottes, wie es uns die Bibel an überwältigend mehr Stellen beschreibt, eigentlich zuwider läuft.

Ausgerechnet der Gott der Bibel ist es doch, der es geradezu liebt, Außenseitern eine Chance zu geben, Außen-vor-Stehenden die Tür zu öffnen und bestehende Wertungen auf den Kopf zu stellen. Altes wie Neues Testament laufen über von Beispielen dafür, dass Verheißungen, die ursprünglich nur einer bestimmten Gruppe zugesagt waren, sehr wohl auch all denen gelten, die Gottes Grundanliegen im Herzen tragen.

Kaum ein Graben auf der Welt stellt sich in der Bibel so tief dar wie der zwischen Juden und Nichtjuden, Gottes erwähltem Volk und den unbeschnittenen "von Natur sündigen Heiden" (vgl. Gal 2,15). Dennoch zählt vor Gott das tatsächliche Leben mehr als solche Kategorien:

"Wenn der unbeschnittene Heide die Forderungen des Gesetzes beachtet, wird dann nicht sein Unbeschnittensein der Beschneidung gleichgerechnet werden? Der leiblich unbeschnittene Heide, der das Gesetz erfüllt, wird über dich zu Gericht sitzen... Jude ist nicht, wer es nach außen hin ist,... Jude ist, wer es im Verborgenen ist, und Beschneidung ist, was am Herzen durch den Geist geschieht." (Röm 2,26-29)

Was sind nun "Forderungen" des Gesetzes? "Forderungen" beschreiben den Inhalt, nicht den Buchstaben: "Und was ist es denn sonst, was der Herr von dir fordert, als: Recht tun, Liebe und Treue üben und demütig leben vor deinem Gott"? (vgl. Mi 6,8).

Was ist denn "Erfüllung des Gesetzes"? Ob wir Jesus, Paulus, Jakobus oder Johannes fragen, die Antwort lautet immer gleich: Liebe (Mt 22,37-40; Röm 13,8; Jak 2,8; 2Joh 6). Echte Liebe ist Gott immer gleich willkommen, sei sie die des "Juden" oder des "unbeschnittenen Heiden". Nun ist diese Liebe selbstverständlich nicht gleichzusetzen mit romantisch-erotischer Liebe. Aber die partnerschaftliche Beziehung ist einer der ersten Orte, wo echte Liebe gelebt werden will. Und wird sie dort gelebt, treten Kategorien wie beschnitten-unbeschnitten oder heterosexuell-homosexuell in den Hintergrund.

Darum sollte niemand, der verantwortlich liebt, sich diese Liebe klein machen lassen, weil es homosexuelle Liebe ist. Gott wird sie für wert erachten. Es wird Zeit, unter Christen eine Kultur der Ermutigung zu schaffen für alle, die wahrhaft "Liebe und Treue üben", und nicht Liebe einzuteilen in echte heterosexuelle und in falsche, unmögliche oder verwerfliche homosexuelle Liebe.

Liebe, Treue und Verantwortung sind und bleiben "unteilbar". Amen.


Fußnoten: [1] Beim letzten Surfen schien mir, dass OJC diese Meldung zurückgezogen hat – vielleicht fiel ihnen doch auf, wie wenig wissenschaftlich solche Rückschlüsse waren.