Die anwachsende innere Spannung zwischen Zurechtkommen-müssen und gleichzeitigem Wissen, dass die gewählte Lebensweise in einer Familie einem nicht wirklich entspricht, wird früher oder später zu einer Sackgasse, aus der man so gut wie nicht mehr herauszukommen scheint. Man(n) fühlt sich elend, ohnmächtig und zutiefst unerfüllt. Und je nachdem, ob die Ehefrau in das eigene "Problem" eingeweiht ist, kommt eventuell noch das Gefühl der großen Einsamkeit und des Allein-Dastehens hinzu.
Am Anfang war Hoffnung
Jeder wird irgendwann erkennen, was mit ihm los ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob wir nun ein Jahr eher oder ein Jahr später erkennen, wie unsere sexuelle Neigung ist. Meistens wissen wir das recht früh. Das eigentliche Problem liegt wohl darin, sich selbst seine Homosexualität eingestehen zu können. Als Christ steht man noch etwas anders da, es geht dabei vielmehr darum, sie sich überhaupt eingestehen zu dürfen. Die weit verbreitete Ansicht der (scheinbaren) Unvereinbarkeit von Glauben und Homosexualität ist dabei nicht zu unterschätzen. Die Angst, das Heil zu verlieren, ist groß.
Doch in meinem Glauben an Gott fand ich auch etwas Hoffnungsvolles. Nicht nur, dass Gott mich liebt und angenommen hat wie ich bin, sondern speziell, dass bei Gott kein Ding unmöglich ist, legte mir die Möglichkeit der Befreiung von meiner Homosexualität nahe. Damit wusste ich, dass bei Gott nichts so bleiben muss, wie es ist.
Mir ist in den Jahren eines klar geworden: mit der Überzeugung, dass Homosexualität Sünde ist, darf es nur ein Ziel geben, nämlich: die Homosexualität loszuwerden. Ich begann innere Veränderung zu suchen. Ich wollte nicht weiter mit dieser ständigen Schwere in meinem Glaubensleben herumlaufen, dem ständigen Gefühl, mich vor Gott schämen zu müssen. Suchen wir nicht gerade als Christen, und das zu Recht, nach einem Leben, das Gott gefällt? Das darf und soll unser Ziel sein.
So schien mir die Ehe und der Wunsch nach einer Familie ein Schritt in Richtung Befreiung zu sein. Mir war es wichtig, Gott damit meine Ernsthaftigkeit zum Ausdruck zu bringen, aber auch bewusst eine Entscheidung gegen meine "unzulässige" Homosexualität zu treffen. Für mich war dies ein Glaubensschritt: damit zu überwinden, was nicht sein darf. Ich war überzeugt davon, dass Liebe einem Wachstumsprozess unterliegt und ich fähig werde, meine Frau mehr und mehr zu lieben und dies meine Homophilie letztendlich ablösen wird. Ich könnte nicht sagen, dass ich meine Frau nicht geliebt hätte. Im Gegenteil. Wenn ich einer Frau gegenüber Liebe empfunden habe, dann war es ihr gegenüber. Uns verband schon längere Zeit weit mehr als nur Bekanntschaft oder Freundschaft.
Vor der Ehe musste ich mir klar werden, ob ich meiner Frau von meiner Homosexualität erzählen sollte oder nicht. Diese Überlegungen gingen lange hin und her. Vom Herzen her wollte ich gerne, denn dann würde ich nicht mehr allein daran herumbeißen müssen. Auf der anderen Seite wusste ich um ihre Einstellung gegenüber Homosexualität und auch, dass sie dieses Problem nicht unbedingt verkraften würde. Hinzu kam die Gefahr in einen Leistungsdruck bezüglich "frei werden müssen" zu kommen. So nahm ich lieber Abstand davon.
Der Weg wurde steinig
In den ersten vier Jahren unserer Ehe wurden unsere beiden (prächtigen) Kinder geboren, und es schien zunächst besser mit mir zu werden. Mein homosexuelles Empfinden geriet in den Hintergrund. Den Kindern gegenüber empfand ich eine so tiefe Liebe, wie ich es sonst nicht kannte. Für sie da zu sein, ihnen Geborgenheit und Wärme gebe zu können, erfüllte mein Herz.
Doch lenkte das nur vom Eigentlichen ab. Die Zuneigung zu den Kindern war unbestreitbar echt: Die Kinder bekamen was sie brauchten und bedurften, aber meine Frau kam dabei zu kurz. Meine Distanz zu ihr blieb und ich erkannte gerade im Vergleich zu meiner Haltung den Kindern gegenüber, dass ich ihr überhaupt nicht gerecht werden konnte. Ich brachte es nicht fertig, ihr die Zuneigung zu geben, die ihr eigentlich zustand. So versuchte ich alles, um Zugang zu ihr zu finden. Egal, was ich versuchte, alles hatte Grenzen. Es war Arbeit für mich, meine Frau in mein Leben zu integrieren und sie zuzulassen. Anstatt Nähe zu gewinnen, nahm die Distanz zu.
Die Not in mir und zwischen uns wurde größer, das Ringen um Befreiung stärker. Ich nahm mir immer mehr Zeit zum Gebet auf langen Spaziergängen, die ich alleine unternahm. Meine Gebete veränderten sich immer mehr. Ich wurde Gott gegenüber sehr ehrlich und lernte mein Innenleben vor Gott auszudrücken. In mir wuchs ein Schmerz darüber, dass ich nicht fähig war, meiner Frau das zu geben, was nötig war: bedingungslose Liebe. In meinen Gedanken war ich ständig mit meiner Situation beschäftigt und für die Außenwelt oft "abwesend". Die Hoffnung, dass Gott befreien kann, blieb. Er war immer noch das Wichtigste für mich und so war es für mich auch keine Frage, meiner Frau gegenüber treu zu sein und zu bleiben.
Der Weg in die Sackgasse
Meine Lage veränderte sich, aber nicht auf die Art, wie ich es mir vorstellte. Zunehmend wurde mir deutlich, dass sich mein Leben in so vielen Bereichen ständig verändert hat: Überzeugungen haben sich aufgrund von Erfahrungen verändert. Auch mein Glaube hat sich entwickelt und wurde stärker, meine Beziehung zu Jesus tiefer. Der ständige Austausch und das Zusammenleben mit meiner Frau haben mir auch neue Impulse vermittelt. Im Grunde änderte sich im Laufe der Zeit alles, nur eines nicht: ich empfand immer noch genauso schwul wie vorher.
In mir machte sich immer mehr das Gefühl breit, in eine Sackgasse geraten zu sein, an deren Ende ich ankomme. Ich fing an, mir den gegenwärtigen Stand klar zu machen: ich bin verheiratet, mit zwei Kindern. Ihnen gegenüber habe ich Verantwortung und außerdem habe ich sie unendlich lieb. Meine Gefühle meiner Frau gegenüber verändern sich nicht, ich bekomme keine Zuneigung zu ihr. Meine Frau weiß nichts von meiner Homosexualität. Ich weiß, dass ich sie sehr verletze, wenn ich mit meiner Wahrheit rausrücke. Ich weiß nicht, wie sie es verkraften wird und was es in ihr auslösen wird, wenn das Familienbild zerrüttet wird.
Erfährt mein Umfeld von mir, muss ich damit rechnen, Eltern, Familie, Freunde und Gemeinde zu verlieren. Alles, was im Grunde meine Existenz ausmacht, wäre mir mit einem Mal weggerissen. Von der finanziellen Lage ganz abgesehen.
Spätestens an diesem Punkt wurde mir deutlich, dass der Preis hoch ist, den ein Coming-out nach sich ziehen würde. Und ich denke, ohne einen mächtigen Gott in unserem Leben wären wir als homosexuelle Ehemänner und Väter wirklich in einer Sackgasse, aus der es kein Entrinnen mehr gibt, wenn Gott uns nicht zu einem Wagnis der Richtungsänderung herausfordern würde...
Aus der Sackgasse heraus
Es wurde mir immer schwerer, meine Situation auszuhalten. Ohnmacht und Ratlosigkeit und das Gefühl, mich verrannt zu haben, wurden unerträglich, denn ich spürte, wie fest ich sitze. Eine Hoffnung auf Hilfe habe ich noch gesehen – das Internet. So versuchte ich Kontakte aufzunehmen zu Männern, die das Gleiche durchgemacht haben. Mich interessierte, wie es ihnen erging und ich dachte, dass ihre Erfahrungen mir weiterhelfen würden. Vielleicht könnten sie mir Rat geben, wie ich weiterkomme. Doch kam eine große Ernüchterung. Meine Emails wurden nicht beantwortet oder kamen zurück mit dem Hinweis auf Unzustellbarkeit.
Letztendlich kam meine Hilfe ganz anders – im Gebet. Auf einem meiner vielen Gebetsspaziergänge wurde ich an einen Vers im Johannesevangelium erinnert, der mir ursprünglich die Gewissheit gab, dass Gott mich befreien würde: "Wenn ihr in meinem Wort bleibt, so seid ihr wahrhaft meine Jünger; und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen" (Joh 8,31-33)
Dieser Satz hat mich die 20 Jahre meines Glaubenslebens begleitet. Und immer wieder hatte ich erfahren, wie befreiend es sein kann, wenn wir Dinge aus der Bibel verstehen und sie in unser Herz rutschen.
Nun kam dieser Vers wieder in mein Bewusstsein, jedoch mit einem ganz anderen Verständnis. Ich wusste, dass Wahrheit und Befreiung zusammenhängen. Und bisher war es für mich so klar, dass Befreiung "Loswerden" bedeuten würde, denn ich hatte ja die passende Wahrheit (Homosexualität ist Sünde) dazu. So war auch meine Blickrichtung nur darauf ausgerichtet.
Aber jetzt habe ich etwas ganz anderes gesehen: Wenn Gott mich so erschaffen hat wie ich bin, mit meiner Sexualität, dann wird sich dort auch nichts verändern können. Warum sollte Gott etwas verändern, was seinem Willen entspricht? Nur weil ich das so will? Und nur, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass Gottes Wille anders sein kann als meine Vorstellung? Nein, die Wahrheit ist, dass sich nichts bewegt, weil Gott gar nicht will, dass sich was bewegt. Sofort habe ich auch die Freiheit gesehen, so leben zu dürfen, wie ich geschaffen bin. Mir wurde klar, dass ich all die Jahre gar nicht in Erwägung gezogen habe, auch mal in eine andere Richtung zu sehen.
Viele Fragen und Ungereimtheiten über die so sehr bekannten und gepredigten Stellen haben schlagartig eine Antwort gefunden. Viele Eindrücke und Erlebnisse, die ich vorher nicht einordnen konnte, konnte ich nun aber verstehen. Vor allem merkte ich, wie schlagartig die Schwere und der Krampf von 20 Jahren "Befreiungsversuch" von mir gefallen sind. Ich konnte wieder atmen. Zwischen Gott und mir waren Zweifel und Schuldgefühle verschwunden. Im gleichen Moment habe ich im Gebet meine Situation an Gott abgegeben und für meine Familie und den richtigen Zeitpunkt bzw. die richtigen Worte für mein Coming-out vor meiner Frau gebetet. Auch habe ich darum gebeten, einen Lebenspartner zu finden, der mir entspricht und mein Herz berührt.
In den nächsten sechs Monaten haben sich die Ereignisse förmlich überschlagen. Meine Frau sprach mich an und es kam zum Coming-out. Sie hat sich im gleichen Moment zu mir gestellt und keine Mauer zu mir hin aufgebaut. Wir haben von da an viel miteinander geredet und sind alle Prozesse gemeinsam weitergegangen. Es gab viele Tränen und viele schmerzvolle Momente – und doch haben wir uns nicht hängen lassen und konnten viele Dinge der letzten Jahre aufarbeiten.
Auch kam für uns die Frage hinzu, wie wir mit unserer vor Gott eingegangenen Ehe umgehen sollten. Können wir uns einfach scheiden lassen? Es erschien uns als der ehrlichere Weg, uns zu trennen, und nicht in die Lüge der Scheinehe zu geraten. Wir wollten, dass unsere Kinder uns weiterhin als Menschen erlebten, die sich in einer freundschaftlichen (und daher entspannten) Art verbunden fühlen und nicht den ewigen Kämpfen und Entfremdungen im Alltag ausgeliefert sind. Darin waren wir uns beide einig. Es war uns selbstverständlich, dass wir uns beide für die Erziehung der Kinder weiterhin verantwortlich fühlen und ich für meinen Teil meine Familie in finanzieller Hinsicht nicht hängen lasse, sondern weiter für sie aufkomme, auch wenn es für mich Verzicht bedeutet.
Recht schnell habe ich meinen jetzigen Lebenspartner kennen – und lieben gelernt. Mit ihm habe ich das kostbarste Geschenk meines Lebens erhalten. In ihm erfüllte sich mein Gebet, dass ich an meinem "Befreiungstag" betete. Es gibt niemanden, mit dem ich sehnlichster und innigster verbunden sein möchte als mit ihm.
Selbst unsere Kinder lieben ihn heiß und innig. Sie wissen, dass es Papas Freund ist und auch, dass Papa ihn liebt. Wir sind froh, dass wir nur zwei Kinder haben, denn sonst hätte er nicht genug Beine, auf denen sie sitzen könnten, so sehr suchen sie seine Nähe. Es war eine große Sorge in mir, dass sich die Kinder von mir entfernen würden. Aber das ist nicht passiert, sie haben ihn voll angenommen.
Wenn ich nun zurückblicke, dann muss ich feststellen, dass sich mein Leben völlig umgekrempelt hat. Ebenso muss ich auch erkennen, dass ich in die falsche Richtung gesehen habe und daher nicht weiterkommen konnte. Hiob sagte am Schluss des Buches, und dem kann ich nur zustimmen: "Ich habe erkannt, dass du alles vermagst und kein Plan für dich unausführbar (kein Gedanke unmöglich) ist." (Hiob 42,2)