Einleitung
Ich arbeite in der Schweiz in einer Institution, wo behinderte Menschen Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten erhalten. Ziel ist es die Menschen beruflich einzugliedern, entweder in der freien Wirtschaft oder in einem geschützten Arbeitsplatz. Mein Arbeitsfeld ist eine Wohngruppe im Wohnheim für solche Jugendliche, die entweder wegen ihrer Behinderung, wegen der örtlichen Distanz zum familiären Umfeld oder anderen Gründen bei uns wohnen. Wir begleiten sie in Haushaltsarbeiten und der Freizeitgestaltung. Durch unsere Förderung wollen wir sie dahin führen, dass sie in selbständigere Wohnformen wechseln können. Fernziel ist, dass sie alleine oder mit einem Partner/einer Partnerin wohnen können und nicht mehr auf unsere Unterstützung angewiesen sind. In unserer Arbeit werden wir immer wieder mit sexuellen Problemen der Jugendlichen konfrontiert. Um fachgerechter reagieren und antworten zu können, habe ich an einer schweizerischen Hochschule für Soziale Arbeit eine Weiterbildung „Sexualpädagogik und Beratung absolviert.
In dieser Weiterbildung hat mich das Modul „Sexuelle Orientierungen“ stark interessiert, gleichzeitig auch herausgefordert. Die christlichen Wertmaßstäbe, die mich seit meiner Jugendzeit geprägt haben und die sexualpädagogischen Erkenntnisse, die ich gewonnen habe, waren wie zwei Welten, die ich vorerst nicht in Einklang brachte. Beschäftigt hat mich auch die Frage einer Mitstudentin, wie man gläubigen, schwulen oder lesbischen Menschen helfen kann. Ich habe mich dann hinter die zentralen Bibeltexte gesetzt und sie größtenteils selber, aber auch mit Hilfe von Literatur genauer analysiert und versuche meine Ergebnisse nachstehend zu erläutern. Es ist eine persönliche Arbeit, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
1. Schöpfungsgeschichte
In der Schöpfungsgeschichte, die am Anfang der Bibel steht, schuf Gott Mann und Frau. Für Gott als Schöpfer ist dies die von ihm gemeinte Verbindung zwischen den Menschen. Die Bibel spricht vom Zustand des „Paradieses.“ Nachdem sich die beiden ersten Menschen einer Weisung Gottes widersetzt hatten, wurden sie aus dem Paradies verbannt. Die Bibel spricht davon, dass der Mensch „gesündigt“ hat und die Sünde von Mensch zu Mensch weitergetragen werde. Die „reine“ Beziehung, die Gott zwischen den Menschen und sich wollte, wurde zerstört.
Die Bibel geht von einer Beziehung zwischen Mann und Frau aus. Auf dieser Grundlage basiert die biblische Botschaft und wir kommen nicht daran vorbei, ohne die ganze Bibel in Frage zu stellen. Trotzdem werde ich mir erlauben, einige idealisierende Denkschemen unter Christen zu hinterfragen.
Der Sündenfall in 1. Mose, Kapitel 3 hatte Folgen für die ganze Menschheit. Im Paradies gab es keine Krankheit, keinen Tod, es war wirklich alles rein. Adam und Eva lebten untereinander und mit Gott in einer Art symbiotischen Verbindung. Es gab nichts Trennendes.
Ich bin davon überzeugt, dass erst der Sündenfall die großen Wesensunterschiede zwischen Mann und Frau gebracht hat und das Natürliche des Paradieses zerstört wurde. Das Heilige, das sich Gott für die Sexualität ausgedacht hat, existiert nicht mehr. Die Göttlichkeit, die über dem Paradies herrschte, kann in keiner sexuellen Beziehung zwischen Mann und Frau erreicht werden. Die Sexualität zwischen Mann und Frau ist einfach nicht mehr nur „göttlich und gut.“ Das zeigt sich auch dadurch, dass viele seelsorgerliche Gespräche zwischen Ehepaaren in Kirchen und Freikirchen sich um sexuelle Probleme drehen. Mir kommt es manchmal vor, dass trotzdem die sexuelle Beziehung zwischen Mann und Frau in unseren Kirchen und Gemeinschaften glorifiziert und andere sexuelle Orientierungen verteufelt werden. Gibt es in einer Ehe zwischen Mann und Frau in der Sexualität eine Sünde überhaupt oder ist dort alles erlaubt? Sündigt man erst, wenn man diese Beziehung verlässt?
Mich hat es erstaunt, wie früh in der Bibel - (bereits in der Genesis) des Volkes Israel – das Thema Homosexualität aufgegriffen wird. Das bedeutet, dass es bereits in der Urgeschichte aufgetreten ist.
2. Bibelstelle 3. Mose
In der Diskussion von Christen zum Thema „Homosexualität“ wird meistens 3. Mose 18, 22 und 20, 13 erwähnt: „wenn ein Mann bei einem Mann liegt, wie man bei einer Frau liegt, dann haben beide ein Gräuel verübt. Sie müssen getötet werden.“
Auffallend ist in den erwähnten Kapiteln der Bibel, dass homosexuelles Verhalten und Sexualität zwischen Frauen und Tieren sowie Männern und Tieren als Fehlverhalten aufgeführt werden, während die Sexualität zwischen zwei Frauen nicht erwähnt wird.
Wenn wir den Vers wie oben zitieren, wird er aus dem Zusammenhang vieler anderer Anweisungen Gottes in den Mosebüchern gerissen. Das gleiche Wort „Gräuel“ wird zum Beispiel auch an anderen Orten in der Bibel verwendet. Zum Beispiel ist es ein „Gräuel,“ wenn Frauen Männerkleider tragen. Ich denke es gäbe heute ein Aufschrei, wenn diese „Gräuel“ in einer Predigt thematisiert würden, während die Homosexualität immer wieder mit dieser Bezeichnung aufgegriffen wird und gerade als „Paradebeispiel“ für die Sünde missbraucht wird.
Daher empfinde ich es persönlich als unrichtig, alle anderen Gräuel in diesem Kapitel zu unterschlagen, und so zu tun, als, wenn sich das ganze Kapitel um die Frage der Homosexualität dreht. Es ist ein einzelner Satz in Kapitel 18 und einer in Kapitel 20 neben vielen anderen gleichwertigen Anordnungen Gottes im ganzen 3. Buch Mose. Wenn man so vieles aus dem 3. Buch Mose weder predigt, noch anwendet, ist es mir unklar, warum man dann im Gegensatz dazu den beiden Sätzen zum Thema „Homosexualität“ ein Gewicht gibt, das völlig überrissen ist.
3. Bibelstelle Römerbrief, 1,21 – 2,4
Eine zweite immer wieder erwähnte Bibelstelle ist Römer 1, 26 und 27. Hier ist die Erwähnung der Homosexualität eingebettet in eine Auflistung von Folgen, wenn sich Menschen von Gott abwenden. Neben vielen anderen Konsequenzen heißt es „Ebenso gaben die Männer den natürlichen Verkehr mit ihren Frauen auf und entbrannten in Leidenschaft zueinander“ und „haben Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen und sind in ihrer Wolllust zueinander entbrannt, indem Männer mit Männer Schande trieben und empfingen den gebührenden Lohn ihrer Verirrung an sich selbst.“
Auch hier gibt es einleitend zu erwähnen, dass das obenerwähnte nur ein Thema in so vielen anderen Vergehen in diesem Kapitel ist. Man könnte gerade so gut etwas anderes herausgreifen und zum zentralen Problem dieser Bibelstelle heraufstilisieren.
In vielen Berichten von schwulen Männern lese ich, dass es keine bewusste Entscheidung zur sexuellen Orientierung gegeben hat, sondern dass man sich eines Tages bewusst wurde, dass man sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlt. Sexuelle Orientierungen entwickeln sich ganz natürlich und sind nicht eine Folge von sündhaften Handlungen. So wie Menschen es nicht beeinflussen können, dass sie heterosexuell empfinden, gilt dies auch für schwul und lesbisch empfindende Personen.
Die Frage ist, ob Paulus hier wirklich ein Rundumschlag gegen Schwule machen wollte. Es ist nicht einmal ganz eindeutig, obwohl es immer so zitiert wird, dass es in der Römerbibelstelle überhaupt um Schwule geht. Für Menschen mit einer homosexuellen Orientierung gibt es nämlich gar keinen natürlichen Verkehr mit Frauen, sie können ihn deshalb auch nicht aufgeben. Wir könnten es auch so verstehen, dass Paulus verheiratete, heterosexuelle Männer meinte, die sündhafte Handlungen begangenen haben und als Folge davon ihre natürliche sexuelle Orientierung verlassen und mit anderen Männern zusammen sexuelle Rituale trieben. Für mich besteht aber auch die Möglichkeit, dass er wirklich Schwule meinte. Ich glaube aber nicht, dass es ihm darum ging, die Homosexualität an den Pranger zu stellen, vielmehr ist es für ihn ein Beispiel, was sich alles durch den Sündenfall im Menschen verändert hat.
Eine andere sexuelle Orientierung ist nicht zwangsläufig eine Folge von Sünde. Jesus hat die Jünger in einer Bibelstelle auch scharf korrigiert, als sie bei einem kranken Menschen nach der Schuldfrage bei dieser Person oder dem Umfeld suchten. Jesus sagte, dass Gott die Situation brauche, um etwas Grosses zu tun.
Nehmen wir uns daran ein Beispiel und suchen nicht die Schuld- sondern die Sinnfrage. Darum gilt es Römer Kapitel 2,1 in die Betrachtung des Paulustextes mit einzubeziehen, : „Deshalb bist du nicht zu entschuldigen, o Mensch, jeder, der da richtet, denn worin du den anderen richtest, verdammst du dich selber, denn du, der du richtest, tust dasselbe.“ Wir haben nicht das Recht, ein Urteil über Menschen mit anderen Orientierungen zu fällen. Es gibt Menschen, die im christlichen Glauben verwurzelt sind, dem Vorbild von Jesus Christus nachfolgen und trotzdem gleichgeschlechtlich empfinden.
Paulus spricht von Verirrung. Diese Gefahr besteht aber auch dort, wo Menschen ihre natürliche Orientierung abgesprochen wird, und sie ein Leben lang dagegen ankämpfen müssen oder wenn sie sogar in eine ihrer Natur widersprechende sexuelle Beziehung gedrängt werden.
Veränderung kann nur dort passieren, wo Menschen die vermeintlichen „Schattenseiten“ in ihrem Leben auch als Teil akzeptieren, damit verantwortungsvoll leben und nicht ständig ablehnen.
Durch den Sündenfall wurde die Gottesbeziehung für alle Menschen unterbrochen. Die Bibel sagt aber auch, dass Jesus Christus durch den Tod seinen Anteil an der Wiederherstellung der Gottesbeziehung gemacht hat und durch unsere bewusste Entscheidung zu Jesus die Wiederherstellung vollendet wird. Bleibt die gestörte Gottesbeziehung bestehen, wenn jemand den erwähnten Schritt gemacht hat und trotzdem die andere sexuelle Orientierung bleibt? Wohl kaum, sonst würde ja die Wiederherstellung für alle Menschen gelten, außer für gleichgeschlechtlich empfindende Personen.
Ich bin überzeugt, dass all die sexuellen und beziehungsmäßigen Probleme, die Ehepaare belasten und die sie in die Gottesdienste mitbringen, das Gemeindeleben beeinflussen. Es ist auch richtig, dass dies mitgetragen wird. Die Gemeinde unterstützt auch physisch und psychisch kranke Menschen. Wenn aber ein schwules oder lesbischen Paar eine Kirche oder Gemeinschaft besuchen oder darin mitarbeiten will, ist dies eine fast nicht verkraftbare Herausforderung.
4. Homophobie und Gleichgültigkeit
Homophobie wird definiert als „Ausdruck einer Angst vor der Homosexualität.“ Sie ist ein durchaus ernstzunehmendes Phänomen. Menschen, die mit der Homosexualität nicht vertraut sind, zeigen in der Begegnung mit homosexuell empfindenden Menschen oft unangemessene Angstreaktionen. Wir haben alle Angst von dem Unbekannten, vor dem, was wir nicht verstehen. So lange wir uns jedoch von der Angst beherrschen lasen, geben wir dem Hass und der Zertrennung Nahrung.
Dazu schrieb der Pfarrer und Autor David Watson:
"Tragischerweise hat die Kirche zu viel und zu oft die gesellschaftliche und weltliche Feindseligkeit gegen Homosexuelle übernommen. Unter dem „Mantel der Gerechtigkeit“ hat sie wenig von der Liebe und Anteilnahme Jesu Christi gezeigt. Als Christen waren wir oft selbstgerecht, haben gerichtet und verurteilt. Wir haben gepredigt und aber nicht zugehört. Wir haben oft gerade die Menschen, denen Jesus immer vorurteilsfreie Freundschaft angeboten hat, gemieden, missverstanden und abgelehnt. Wenn es ein „Problem der Homosexualität“ gibt, beginnt es mit der „Homophobie“ der Kirche – einem Wort, dass von der Homosexuellenbewegung erfunden wurde, für die neurotischen Ängste und den Ekel, den viele gegenüber Homosexuellen empfinden. Wir müssen Gott erlauben, mit der Homophobie bei uns aufzuräumen.
Als Christ und Pfarrer mit heterosexueller Neigung sehen ich deshalb die Notwendigkeit, dass die Kirche Busse tut für die lieblosen, heuchlerischen Einstellungen, die sowohl Frustration und Einsamkeit vieler verstärken, als auch zur gleichen Zeit die Gnade unseres Herrn Jesus Christus verleugnen, dessen herzliche und liebe Zuwendung allein uns befreien kann."
Richard Cohen bezeichnet es gar als großen Verdienst der Schwulenbewegung, dass diese die Frage nach der Homosexualität auf die Tagesordnung gebracht hat. In dem Maße, in dem sich homosexuell Empfindende vermehrt in der Öffentlichkeit zu ihrer sexuellen Prägung bekannt haben, ist auch für die Kirchen und freikirchlichen Gemeindeverbände die Frage unumgänglich geworden, welche Stellung sie zur Homosexualität einnehmen.
Das immer schon vorhandene, häufig aber verschwiegene oder geflissentlich übersehene Problem „Homosexualität und christliche Gemeinde“ ist so zum unabweisbaren Thema geworden.
Die seelsorgerliche Orientierung „Homosexualität und Gemeinde“ des Gemeinde- und Missionswerkes Pilgermission St. Chrischona beginnt mit einem Eingeständnis, das in seiner Ausrichtung die Befindlichkeit einer Vielzahl von kirchlichen Gemeinden und Gemeinschaften wiedergibt: „Wir haben erkannt, dass wir das Thema Homosexualität in seiner Tragweite und Tiefe zu lange unterschätzt und damit sowohl Betroffenen als auch nach Orientierung Suchenden zu wenig Hilfe angeboten haben.
Die Tatsache, dass Brüder und Schwestern unter uns homoerotisch empfinden, wurde zu wenig wahrgenommen. Dies hat bei Betroffenen und ihren Familien viele Wunden hinterlassen, weil sie nicht die nötige Hilfe fanden. Oft wurden sie mit moralisierenden Antworten abgespeist, indirekt oder direkt als „größere“ Sünder betrachtet oder es wurden ihnen schnelle Lösungen angeboten, die nicht hilfreich waren.
5. Ursachen der Homosexualität
Oft wird von Christen die Literatur von Dr. Joseph Nicolosi, Gerhard van den Aardweg und Richard Cohen zitiert. Alle drei gehen davon aus, dass die Ursache in einer frühkindlichen oder Entwicklungsstörung zu suchen sind.
Dr. Nicolosi schreibt zur Kleinkindphase: „Es geht nicht darum, irgend jemand einen Vorwurf zu machen. Oft spielt die ganze Familiendynamik zusammen, verbunden mit einer allgemeinen physischen Disposition. Eine besitzergreifende Mutter, ein kalter ablehnender Vater, ein älterer Bruder, durch den er sich entmutigen ließ und eine schüchterne, leicht verletzliche Struktur des betroffenen Knaben selbst.“
Weiter schreibt Dr. Nicolosi zum "Knaben in der Latenzphase": „Der prä-homosexuelle Knabe hat Mühe, eine gute Beziehung zu seinem männlichen Körper zu finden, in der Pubertät dann ausgeprägt. Irgend ein Aspekt seines Körpers scheint ihm mangelhaft. Das Empfinden ihrer männlichen Unterlegenheit übertragen Homosexuelle auf ihren Körper.“
Meine persönlichen Erfahrungen mit dieser Altersgruppe zeigen deutlich, dass Dr. Nicolosis Interpretation zum "prä-homosexuellen" Knaben auf die meisten Jugendlichen zutrifft. Dies bestätigen auch wissenschaftliche Ergebnisse und die Jugendlichen selber. Die körperlichen Veränderungen, das Aussehen, das „Normalsein“ wollen, ist bei jedem Jugendlichen ein Thema. Jeder ist geprägt von Idealvorstellungen, denen man nicht zu entsprechen meint und darum verunsichert ist.
Der Umgang mit dieser Verunsicherung ist verschieden. Einige überspielen es mit „Machogehabe,“ prahlen mit ihren sexuellen Erfahrungen, auch wenn sie diese nur in ihrem Wunschdenken gehabt haben. Andere ziehen sich eher zurück, damit sie nicht angesprochen, ihnen Fragen gestellt und die Verunsicherung festgestellt wird. Es ist also kein Phänomen, das nur Schwule durchmachen. Wie wäre es, wenn wir das Denkschema umdrehen würden und untersuchen würden, welche „krankmachenden“ Einflüsse dazu führen, dass jemand heterosexuell wird?
Um eine Ursache wirklich begründen zu können, müsste die ganze Altersgruppe angeschaut werden. Man müsste schauen, wie viele mit der gleichen Ausgangslage – eine besitzergreifende Mutter, ein ablehnender Vater etc. - sich heterosexuell, wie viele homosexuell, wie viele eine andere Orientierung entwickeln.
Ich denke, dass sowohl Dr. Nicolosis, Gerhard van den Aardwegs und Richard Cohens Begründungen und Erfahrungen für diejenigen Menschen, die sie begleitet haben, korrekt sind. Aber mir fehlen bei allen drei Autoren die Vergleiche mit heterosexuellen Personen. Warum wurde nicht untersucht, wie die Vergleichswerte bei Heterosexuellen sind?
Zum anderen decken die oben erwähnten Fachleute mit ihrer Beschreibung nur eine bestimmte Gruppe Homosexueller ab. Aber die Schwulen sind ebenso ein Blumenstrauß mit vielen unterschiedlichen Farben, wie die Heterosexuellen. Es ist auch nicht korrekt, wenn z.B. „Pink Cross“ für die ganze Schwulenbewegung spricht. Auch sie sprechen nur für einen Teil der Homosexuellen, aber nicht für alle Schwulen.
Das gilt auch für christliche Institutionen, die Homosexuelle begleiten. Es gilt aufzuhören, Menschen mit anderen Orientierungen zu schematisieren und sich dafür wirklich auf das Gegenüber einzulassen. Beginnen wir anstatt nach dem „Warum“ zu fragen: „Wozu kann die andere sexuelle Orientierung nützlich sein?
6. Thema Veränderung der sexuellen Orientierung
Sexualpädagogische Fachleute befürworten heute, dass Veränderungen von sexuellen Orientierungen möglich sind. Bisher wurde dies radikal verleugnet. In Einzelfällen sind solche Veränderungen möglich, wenn Menschen spirituelle Erfahrungen machen oder Lebensentwicklungen passieren. Jesus hat am Teich „Betesda“ eine gelähmte Person geheilt, während alle anderen vermutlich krank blieben. Es wäre also falsch zu behaupten, wer Jesus in Betesda gesehen hat, sei gesund geworden. Gleich falsch ist es, Einzelfälle von Veränderungen in der sexuellen Orientierung auf alle Menschen zu übertragen. Ich bin aber vor allem überzeugt, dass ein solcher Veränderungsprozess nicht von außen gesteuert werden darf. „Heilungsversuche“ und „Heilungsgebete“ wegen einer sexuellen Orientierung sind gefährlich. Sie zeigen dem Betroffenen auf, dass er von der religiösen Gruppierung nur akzeptiert wird, wenn er in ihr Konzept passt. Der Mensch interpretiert dann die Ablehnung der sexuellen Orientierung und damit der ganzen Persönlichkeit auch in Bezug auf Gott.
Dies hat Folgen für die sexuelle aber auch religiöse Identität. Die dadurch entstandenen psychischen Schäden stehen in keinem Verhältnis zur Ursache, der sexuellen Orientierung. Wenn die „Heilung“ nicht passiert, hat die Person nur die Möglichkeit, etwas vorzuspielen oder sich von der kirchlichen Gruppe zu entfernen. Keiner wird sich an einem Ort wohlfühlen, wo die anderen Kirchenmitglieder ihm gegenüber so deutlich Vorbehalte signalisieren. Dazu könnte noch kommen, dass er selber seinen Glauben anzweifelt, da keine Veränderung eingetreten ist.
7. Grundhaltung
Ich muss, um als Christ Menschen mit anderen Orientierungen begegnen zu können, eine Grundsatzfrage beantworten. Wenn ich diese andere Orientierung als „ungöttlich“ betrachte, gehe ich anders an die Person heran, wie wenn ich seine Empfindungen als „natürlich“ betrachte. Ich muss mich entscheiden:
- Will ich, dass sich die Person verändert - „geheilt“ werden soll? - Oder will ich sie unterstützen, damit sie mit ihrer Andersartigkeit umgehen kann?
- Will ich, dass gerade die andere sexuelle Orientierung eine Stärke sein kann, die für die christliche Kirche und Gemeinschaft wertvoll sein kann und ausgenützt werden sollte? - Oder sehe ich nur das Negative?
In einer Begleitung muss erreicht werden, dass die christliche und die sexuelle Identität gestärkt werden und die Person sie vereinigen kann. Heute wird es vielen, die eine andere sexuelle Orientierung haben, in unseren Kirchen schwer gemacht.
Andererseits haben Schwulenbewegungen ein Feindbild von Kirchen und Gemeinschaften, so dass sich Christen dort auch nicht wohlfühlen. Sie fühlen sich überall nicht zugehörig.
Lösen wir uns von gegenseitigen Feindbildern und gehen wir auf die Betroffenen zu, damit sie diesen inneren Kampf zwischen Glaube und sexueller Identität aufgeben können.
Für Sexualpädagogen, die auf der Basis eines humanistischen Menschenbilds arbeiten, ist es wichtig, dass sie weder die sexuelle Identität noch die christliche Identität werten, sondern beide Pole im Gegenüber als gleichwertig ernst nehmen. Dasselbe gilt natürlich auch für christliche Berater.
8. Tipps für die Beratung von gläubigen Menschen mit anderen Orientierungen
Wir müssen uns bewusst machen, dass ein schwuler oder lesbischer Mensch, der in einer Kirche mitarbeitet, in dieser Gruppierung einen für ihn wichtigen Anker hat.
Der Glaube gehört zu seiner Identität: Der Priester, Pfarrer oder Pastor oder andere Kirchenmitglieder sind für ihn Bezugspersonen, die den Glauben teilen. Oft sind sie für ihn auch ein Sprachrohr Gottes. Die Bibel ist das Handbuch, um danach zu leben.
Leider verstehen viele Menschen die Bibel wie das Straßenverkehrsgesetz. Überall hat Gott seine Polizisten, die aufpassen, dass man ja nichts falsch macht, oder sonst den Bußzettel zücken.
Diese religiöse Identität ist für viele Menschen eine Stütze, mit der sie wertvolle Erfahrungen machen. In der Kirche erleben sie oft Gemeinschaft über den Gottesdienst hinaus. Der Mensch ist eingebettet und zuhause in seiner Kirche. Die Schwierigkeit für homosexuelle Christen ist nun, dass die Bibel die anfangs erwähnten Texte enthält und sie immer wieder gerade von den Personen zitiert werden, die für den betroffenen Menschen zentrale Figuren sind. Der Mensch leidet daher oft jahrelang unter dem Gespaltensein, seine homosexuellen Gefühle zu verheimlichen, weil er Angst hat, ausgeschlossen zu werden, wenn er dazu steht,. Das kann zu psychotischen oder depressiven Erkrankungen bis hin zu Suiziden führen. Andere ziehen die Konsequenz und verlassen die Gruppe. Noch heute werden schwule Menschen auf direkte oder indirekte Art aufgefordert, die Kirche zu verlassen. Wenn solche Menschen gegangen sind, ist es für die übriggebliebenen klar, dass das eine Folge der Sünde ist, und die Gemeinde ist nun wieder rein(er). Weiteren Menschen, die schwul oder lesbisch empfinden, wird damit versperrt, sich zu outen. Wenn man aber nur mit einem Durchschnitt von 3 % Menschen mit anderen Orientierungen rechnet, müssten in einer Kirche von 100 Personen 3 Schwule oder Lesben sein. Warum hört man nichts davon? Wurde ihnen von vornherein der Zugang mit Ablehnung verwehrt, wurden sie vertrieben oder verstecken sie sich einfach?
Ich denke, es ist wichtig, dass man gläubige Schwule auf Adressen von Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen hinweist, die Erfahrung mit der Problematik haben. Humanistische Beratungsstellen fehlen die Kenntnisse des „gläubigen Pols“ des Gegenübers. Weil sie damit wenig anfangen können, stehen sie in der Gefahr, diesen zu bagatellisieren oder den Menschen zu versprechen, dass man in die Freiheit kommt, wenn man den Glauben aufgibt.
Christen sollen betroffenen Mitchristen ebenfalls Adressen von Fachstellen vermitteln, die Erfahrungen in der Begleitung mit dem „schwulen Pol“ haben, ohne zu therapieren.
Wichtig ist zu wissen, das für viele nichtgläubige Schwule Kirche und Glaube wie ein rotes Tuch sind, auf das sie sehr aggressiv reagieren können. Gläubige Schwule erleben auch von dieser Seite massive Ablehnung. Daher ist es wichtig, dass sie Personen finden, die nicht nur die sexuelle, sondern auch die religiöse Identität teilen.
9. „Coming Out“ von Menschen mit anderen Orientierungen
Oft steht vor diesem Schritt eine längere Leidenszeit. Vielleicht hat man jahrelang auf die Heilung Gottes gewartet, seine Andersartigkeit nie akzeptieren können. Ich denke Heilung kann auch sein, wenn man „Ja“ sagt zu sich inklusive dem schwulen Teil, das positive und nicht nur das negative darin sucht. Einige finden den Weg selbst dazu, andere brauchen die Unterstützung vom „Zwischenraum“ oder anderen Beratungsstellen.
Bei einem „Coming Out“ ist zu empfehlen, dies nicht zuerst in der Kirche zu machen, sondern in der Familie oder gegenüber guten Freunden. Dabei kann man hoffentlich die wertvollen Erfahrung machen, dass man trotz der anderen Orientierung angenommen wird und bleibt. Erst in einem nächsten Schritt kann man sich an einen „Vertrauten“ in der Kirche wenden. Wie weit man es dann publik machen will, muss jeder selber entscheiden.
10. Persönliche Standortbestimmung
Vieles, was in diesen Gedanken formuliert habe, hat auch mit mir zu tun. Ich weiß, dass ich homosexuell empfinde, habe dies aber bisher nur in Phantasien „ausgelebt.“ Auf meinem Weg habe ich viele Gespräche hinter mir. Viele Jahre der Erwartung, dass Gott das Computerprogramm einmal löscht und ein heterosexuelles startet. Später habe ich – auch im festen Glauben, dass ein erfülltes Sexualleben mit einer Frau mich „normal“ macht – geheiratet. Aus diesem erfüllten Sexualleben ist leider nie etwas geworden. Meine homosexuellen Empfindungen sind eine Blockade in der Sexualität zu meiner Frau. Dies führte zu Schuldgefühlen meinerseits ihr, mir und Gott gegenüber.
Heute akzeptiere ich meine Homosexualität als Teil von mir. Diese Akzeptanz spüre ich als befreiend. Ich merke, dass ich mich auf einen neuen Weg begebe, dessen Ziel ich noch nicht genau kenne. Bis jetzt lebte ich meine Homosexualität versteckt in der Phantasie aus. Was für mich vom Glauben her bisher unmöglich schien, kann ich mir heute vorstellen, Sexualität mit einem Mann wirklich zu erleben. Nicht in erster Linie wegen der Sexualität. Großartig wäre es, einen Freund zu finden, mit dem "mann" so vieles teilen, gemeinsam haben und unternehmen kann und wo die Sexualität zu einem - wunderschönen – Teil dieser Gemeinsamkeit wird.
11. Schlussgedanken
Mein Wunsch ist, dass heterosexuelle, bisexuelle und homosexuelle Personen, die im christlichen Glauben verankert sind, dazu geführt werden, dass sie ohne Vorbehalt dem Psalm 139, 13 – 18 zustimmen können. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass man für seine Handlungen keine Verantwortung übernehmen muss, man kann sie sogar erst wahrnehmen, wenn man auf einem soliden Fundament steht. Die Psalmworte geben uns diese Basis und führen in die Freiheit und in die Selbstannahme. Aus dieser Selbstannahme können weitere Schritte passieren im Umgang mit der sexuellen Orientierung.
„Denn du hast mein Inneres geschaffen, mich gewoben im Schoss meiner Mutter.
Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gemacht hast.
Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke.
Als ich geformt wurde im Dunkeln,
kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde,
waren meine Glieder dir nicht verborgen.
Deine Augen sahen, wie ich entstand,
in deinem Buch war schon alles verzeichnet,
meine Tage waren schon gebildet,
als noch keiner von ihnen da war.
Wie schwierig sind für mich, o Gott,
deine Gedanken, wie gewaltig ist ihre Zahl.
Wollte ich sie zählen, sie wären mehr als Sand,
käme ich bis zum Ende, ich wäre immer bei dir.
12. Literaturverzeichnis
- Cohen Richard, Ein anderes Coming Out“ Homosexualität und Lebensgeschichte, Orientierung für Betroffene, Angehörige und Berater, Brunnen Giessen 2001
- van den Aardweg, G.J.M., Das Drama des gewöhnlichen Homosexuellen, Analyse und Therapie, Hänssler 1995
- Pilgermission St. Chrischona, Homosexualität und christliche Gemeinde, Eine seelsorgerliche Orientierung 1999
- Die Bibel, Einheitsübersetzung